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Title
Empire by Invitation. William Walker and Manifest Destiny in Central America


Author(s)
Gobat, Michel
Published
Cambridge, Massachusetts 2018: Harvard University Press
Extent
384 S.
Price
€ 37,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Laurin Blecha, Lektor am Institut für Geschichte der Universität Wien

Auch im Jahr 2020 war der US-Filibuster Willam Walker (1824–1860) wieder Teil der über einstündigen Rede von Präsident Daniel Ortega anlässlich des Jubiläums der Nicaraguanischen Revolution (1979–1990).1 Walker, der in den 1850er-Jahren die nicaraguanische Innenpolitik und im weiteren Verlauf auch jene Zentralamerikas durcheinanderbrachte ist immer noch als Personifizierung des US-amerikanischen Imperialismus im politischen Diskurs eine wirkmächtige historische Referenz. Dies liegt darin begründet, das Walkers Handeln in Zentralamerika als eine Art „Labor“ für die imperialen Ambitionen der USA vor allem im 20. Jahrhundert diente.2 Walkers wurde im Zuge eines Konfliktes zwischen der konservativen Agraroligarchie und liberalen Eliten Nicaraguas von letztgenannten ins Land 1855 geholt und übernahm dort selbst die Macht bis er schließlich von einer zentralamerikanischen Allianz 1857 aus dem Land vertrieben wurde.

Die historische Forschung zu Walker war lange Zeit von Polarisierungen geprägt. Von blutrünstigen Söldnern, welche die Südstaatensklaverei der USA nach Zentralamerika bringen wollten, bis hin zum Vorreiter für die Ausbreitung des US-amerikanischen Demokratie reichen hier die Interpretationen, zu denen auch Walker selbst mit seiner Autobiographie beigetragen hat.3 Die nationalistisch inspirierte Geschichtsschreibung in den zentralamerikanischen Ländern hat Jahrzehnte lang den Kampf gegen Walker als Ausgangspunkt für den nationalen Befreiungskampf hervorgehoben und das „Erwachen“ eines Nationalbewusstseins innerhalb dessen konstruiert. In den letzten Jahren dagegen konzentriert sich die Forschung auf die Anwendung einer transnationalen Perspektive.4.

Dies ist auch die Herangehensweise von Michel Gobat, der schon in seinem Buch Confronting the American Dream. Nicaragua under U.S. Imperial Rule Politik-, Wirtschafts-, Kultur- und Diplomatiegeschichte gekonnt miteinander verband.5 Walkers Kampagne wird von Gobat in insgesamt neun Kapiteln plus einer Einleitung und eines Epilogs als Teil des imperialen Ausgreifens der USA im Lauf des 19. Jahrhunderts betrachtet. Hier bezieht er sich auf den norwegischen Historiker Geir Lundestad und dessen Konzept des “empire by invitation”, das die Einzigartigkeit der US-amerikanischen Imperiums nach 1945 im Vergleich zur Sowjetunion aufzeigen soll. Lundestad argumentiert, dass die US-amerikanische Vormachtstellung auch auf der „Einladung“ der USA durch die lokalen Bevölkerungen fußte, wodurch die USA längerfristig ihre Hegemonialstellung – vor allem in den Länder des Globalen Südens – absichern konnten. Lokale Eliten, wie auch Teile der Bevölkerung, so Lundestad, „bewunderten“ die USA als eine Nation, die Fortschritt und Modernisierung ausstrahlte und realisierte.6 Dies war auch im Falle Nicaraguas von Bedeutung (S. 7).

Den Ausgangspunkt für den Wunsch nach einer „Amerikanisierung“ sieht Gobat im Kontext des Goldrausches (1848). Von New York oder New Orleans aus kamen monatlich tausende US-Amerikaner/innen nach Nicaragua, um von dessen Pazifikküste aus mit dem Schiff Kaliforniern zu erreichen. Geschäftsleute, wie Cornelius Vanderbilt, erkannten die Möglichkeit daraus Kapital zu schlagen und investierten in den Ausbau der Transitroute. Viele der Ankommenden blieben im Land und eröffneten entlang der Route Restaurants, Hotels und andere Betriebe und fanden ihr Kalifornien bereits im Isthmus in Zentralamerika. Ein möglicher Kanalbau zwischen Atlantik und Pazifik durch Nicaragua betrachteten lokale politische Akteur/innen als Möglichkeit, das nach ihrer Ansicht „rückständige“ Land an den Weltmarkt und dessen Reichtum anzuschließen. Gobat schlussfolgert, dass Walkers Machtergreifung schließlich erfolgreich war, da die nicaraguanische Bevölkerung und deren Eliten diese als Vorboten einer Zeit der Modernisierung und Fortschritts betrachteten (S. 57).

Was war aber nun genau Walkers Projekt? Hier arbeitet Gobat analytisch sehr genau und dekonstruiert vermeintlich einfache Erklärungen. Hierunter fällt auch die Frage, ob Walker in Nicaragua die Sklaverei wiedereinführen wollte. Gobat verweist in diesem Zusammenhang sowohl auf Walkers abolitionistische Grundhaltung und dessen schlussendlich pragmatische Haltung zur Wiedereinführung der Sklaverei. Das Kapitel 4 (S. 102–138) setzt sich genauer mit den Siedler/innen und Mitstreiter/innen Walkers auseinander. Hier widerlegt Gobat anschaulich, dass die Machtergreifung Walkers in Nicaragua nicht nur eine von US-amerikanischen Filibustern organisierte Aktion war. Protestantische Missionare waren ebenso dabei, wie Südstaaten-Pflanzer/innen, Abolitionist/innen und Europäer/innen, wie etwa der Schweizer Sozialist Karl Bürkli und Louis Schlesinger, ein ehemaliger Kämpfer der revolutionären Bewegung in Ungarn von 1848. Das Gros der Truppe Walkers und der Siedler/innen kam nichtsdestoweniger aus der urbanen Arbeiterklasse. Für viele stellte ein vermeintlich sicheres Einkommen im Militärdienst ein attraktives Angebot dar. Etwas ganz anders war es für Bürkli, der, geprägt von der Restaurationszeit, in Nicaragua einen möglichen “socialist democratic state” aufkommen sah (S. 133). Auch Kubaner/innen, die sich gegen die spanische Kolonialmacht Anfang der 1850er-Jahre aufgelehnt hatten, schlossen sich Walker an, dessen Kampagne sie als Inspirationspunkt im Kampf für Freiheit und Demokratie betrachteten. Denn ähnlich wie die USA zuvor führten sie einen antikolonialen Kampf gegen Spanien.

Herausfordernd an der Machtergreifung Walkers ist, laut Gobat, deren „historische Anomalie“ (S. 5), während sie gleichzeitig als klassisches Beispiel der US-amerikanischen Expansionspolitik in Zentralamerika behandelt wurde. Denn weder war es eine Militärkampagne, die in eine Annexion mündete, wie etwa im Krieg gegen Mexiko (1846–1848), noch eine reine Siedlerbewegung, wie etwa die Mormonen-Gemeinschaften in Utah oder die Siedlungskolonie in Liberia. Die Siedler/innen, die im Zuge der Kampagne nach Nicaragua kamen (etwa 12.000), waren auf der Suche nach günstigem Land, verbreiteten aber auch die Idee des Manifest Destiny. Gobat betont, dass die Episode von Walker den internationalen Ursprung des US-Imperialismus deutlich mache. Dieser war vor allem für die zentralamerikanischen Politiker ein bedrohliches Szenario, denn diese hatten den Gebietsverlust Mexikos 1848 noch vor Augen und befürchteten eine ähnliche Entwicklung durch die Filibuster Walkers (S. 96). Der US-amerikanische Expansionismus hatte aber auch anziehende Komponenten, denn er versprach schnellen Reichtum und für Bürkli und Schlesinger repräsentierte er den Universalismus der demokratischen Idee (S. 128). Dies mag schließlich auch zu den unterschiedlichen Deutungsmustern beitragen haben, die seit mehr als 150 Jahren die Forschung, die Politik aber auch die Populärkultur beschäftigen.7

Gobat stützt sich auf ein breites Quellenkorpus, das Zeitungen, diplomatische Korrespondenzen und persönliche Aufzeichnungen von unterschiedlichen Akteur/innen umfasst. Für das nicht fachkundige Publikum werden manche Zusammenhänge teilweise schwer nachvollziehbar sein, da die Geschichte um Walker ein gewisses Maß an Vorkenntnissen von Personen und historischen Abläufen in Zentralamerika und den USA voraussetzt. Zugleich ist diese kompakte Beschreibung und Neuinterpretation der Kampagne Walkers in Nicaragua ein Werk, das in den Seminaren zur US-Geschichte des 19. Jahrhunderts nicht fehlen sollte. Das mittlerweile preisgekrönte Buch von Gobat beweist auf eindrucksvolle Weise, was transnationale Geschichtsforschung zu leisten vermag.

Anmerkungen:
1 El 19 Digital, Nicaragua. Discurso del Presidente Daniel Ortega en Histórico 41/19 de Julio, https://www.youtube.com/watch?v=6k9y7Bb9DW8, 24.07.2020.
2 Greg Grandin, Empire’s Workshop. Latin America, the United States and the Rise of the New Imperialism, New York 2006.
3 William Walker, The War in Nicaragua, Mobile 1860. Für eine Interpretation innerhalb der liberalen Historiographie siehe: Jerónimo Pérez, Obras Históricas Completas, Managua 1975, S. 172–340.
4 Siehe: Víctor Hugo Acuña Ortega, Centroamérica. Filibusteros, Estados, Imperios y Memorias, San José 2014.
5 Michel Gobat, Confronting the American Dream. Nicaragua under U.S. Imperial Rule, Durham 2005.
6 Geir Lundestad, “Empire by Invitation” in the American Century, in: Diplomatic History 23:2 (1999), S. 189–217.
7 Siehe etwa den Film Walker (1987) mit Ed Harris in der Hauptrolle.

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